*Ich bring ihn um. Irgendwann … bring ich ihn um. Ohne viel Aufwand. Ich werde zu ihm gehen und sagen: 'So, jetzt stirbst Du'. Und dann ist er tot.*
Ich kaute an einem Knochen und hing meinen Gedanken nach. Es waren schöne Gedanken. Grün eingefärbte Phantasien.Grün-grün-grün. Schallalallala.
"VIKATE!"
Und da waren sie wieder, meine drei Probleme: Hier, Jetzt und Gronka.
"Komme schon!"

Ich schlenderte über das Floß, wich dem einen oder anderen Schlag und Tritt aus, sprang über die noch nicht weggeräumten frischen Leichen und warf einen kleinen Ork ins Wasser, weil er mir nicht gefiel.
Gluck … uuund weg war er. Der Alltag auf diesem beschissenen Floß war anstrengend genug und jetzt wieder etwas mehr Platz.
Am Ende dieses Spießrutenlaufs stand ich vor Gronka, der auf dem einzigen Möbelstück weit und breit saß: einer rotbraunen Holzkiste. Als sie vor ein paar Tagen noch beschriftet war mit: "NICHT ANFASSEN!", hatte der Boss noch alle Hände voll damit zu tun, die Meute abzuwehren, die wissen wollte, "was denn sonst passieren würde". Erst nachdem er die Schrift überdeckt hatte mit dem Blut der besonders Hartnäckigen, konnte er in Ruhe Platz nehmen.
Gronka musste seit Wochen schon nicht mehr geschlafen haben. Er hielt sich tapfer aufrecht.
Als Oberork durfte er keinen Moment der Schwäche zeigen, sonst würde er schnell "abgewählt" werden. Und jeder hier wusste, dass eine Wahl bei den Orks frei, gleich, öffentlich und mit total nicht geheimer Brutalität stattfindet.

Ich begrüßte ihn mit einem lässigen "Wossap?" und grinste schüchtern.
Er versuchte, mich mit grimmigem Blick zu fixieren, so gut er konnte: "Wieso wirfst Du Essen ins Wasser?"
"Schulligung, mein Fehler." Mit auf dem Rücken verschränkten Händen und abgewandtem Blick machte ich einen möglichst harmlosen Eindruck.
"Hör auf zu grinsen Du Made. Ich traue Dir nicht!"
"Du hast wie immer recht, großer Gronka."
"Hmpf."


Er sprang auf und hielt mir eine Keule an die Brust: "OI! Wie meinst Du das?"
"Ich traue mich auch nicht."
"Noch so ein Spruch und ich mache aus dir Mettaufstrich. Ich habe Hunger, hörst Du?!"
"Natürlich. Mett. Gute Wahl."
"Nenne mir einen Grund, wofür wir hier auf dem Meer einen Tierbändiger brauchen? Wo willst Du Deinen Räspäkt hernehmen, HÄÄ?"
*Ich bring ihn um. Ich bring ihn … Moment … was ist das?*
"Ein Vogel!"
Gronka folgte meinem Blick nach oben und sagte: "Und den willst Du bändigen?" Er brach in lautes, polterndes Gelächter aus.
"Nein."
"Aah, wir sollen ihn essen, als Beilage zum Mett?" Er deutete einem Bogenschützen, dann auf den Vogel, den der Schütze gekonnt ins Ziel nahm.
Mitten in der Luft getroffen, fiel der Vogel ins Wasser und versank.
Wir blickten ihm nach.
Irgendeiner aus der Meute hinter uns rief: "So, jetzt bändige ihn."
Gelächter.

Ich fühlte mich auch sehr müde.
Seit unzähligen Tagen trieb uns die Strömung über das Meer. Die gesamte Orkarmee, die drei Feldzüge mit Anstand und hochmotiviert vergeigt hatte, versammelt auf hunderten Flößen aus Stein. Niemand machte sich Gedanken, wie das funktionierte, keiner fragte, wohin es ging. Wir ernährten uns von dem Fleisch, das täglich anfiel und tranken salziges Wasser.
Man gewöhnt sich an alles. Die Stimmung war wie immer gut: alle waren wütend und bereit.
Im Grunde war ich stolz auf unsere Flotte. Nur Orks konnten so lange durchhalten, ohne die schlechte Laune zu verlieren und dem Wahnsinn zu verfallen. Gronka hielt die Menge zusammen und verhinderte das totale Chaos.

Der Arsch.

Ich mag Chaos. Es sorgt für Ruhe und reinigt. Chaos ist toll. Ohne Chaos ist nur … Stillstand.

Ich riss mich aus meinen Gedanken und brüllte über das Deck: "AARGH, ihr hinverbrannten Vollidioten!!! Gronka hat euch doch laut und deutlich gesagt, dass ein Vogel ein Zeichen dafür ist, dass wir uns Land nähern. Hätte nicht dieser Goblinpopel…" ich deutete auf den Bogenschützen, "den Vogel abgeschossen, dann könnte ich ihn bestimmt fragen, wo er herkommt. Jetzt geht das natürlich nicht mehr."
Das war gelogen ... wichtig ist nur, dass ein anderer schuld ist. Egal wie.
Ich blickte zu Gronka rüber, der sich nicht rührte. Mir war schon öfters aufgefallen, dass er anscheinend im Stehen mit offenen Augen schlafen kann.
Man muss ihn einfach respektieren, der hat seine Tricks.
Langsam schlenderte ich auf ihn zu und stupste ihn mit dem Griff meiner Peitsche an, während hinter mir ein jetzt unbekannter Bogenschütze ins Wasser "fiel".
"Chef?!"
Er bewegte genau ein Auge in meine Richtung, was ein wenig unheimlich aussah.
"Hm-Mh?"
"Der Vogel eben kam vom Festland, wir müssen nur dorthin … rudern … segeln … steuern …" Ich sah mich hektisch um auf der Suche nach einem besseren Wort "… treiben!"
Gronka schien auf einmal komplett wach und Herr der Lage: "Das ist ein gutes Zeichen!" Er reckte beide Hände in die Höhe und sprach zu der aufmerksamen Floß-Orkschaft: "WOLLEN WIR LAND EROBERN?!"
Die Meute schrie: "JA, das wollen wir!"
"GUT, dann holt den Schamanen, er kann uns den Weg weisen!"
Die Meute schwieg.
Gronka blickte zu mir und raunte: "Bum Vikate: wo ist der verdammte Schamane?"
"Mett."
Wir schwiegen uns eine Weile an. Das Volk wartete. Ich räusperte mich: "Okay, was machen wir jetzt?"
"Das, was Orks am besten können."
"Fressen, töten, plündern, poppen? Das sollte hier auf diesem FLOSS auf dem offenen MEER überhaupt kein Problem sein!"
Der große Ork wendete sich bedrohlich langsam zu mir. Ich war wohl etwas zu laut geworden.
Nur ein Gedanke kreiste in meinem Kopf. Der einzige Lichtblick auf diesem Kack-Floß der sich jetzt zwischen mich und den Mordplan stellte:
Mein Trumpf: ich kann schwimmen.
Gronka hob mahnend einen Zeigefinger: "Nicht zu vergessen, unsere reichhaltige Kulturtradition und der sorgsam gepflegte Mystizismus.[1]" Er schüttelte seufzend sein gewaltiges Haupt. "Vikate, manchmal muss ich mich sehr über Dich wundern."
"Mich wundert überhaupt nichts mehr …"
Wieder ein Schweigen, während wir auf dem Rand des Flosses in Richtung der untergehenden Sonne blickten.
Ich brach zuerst die Stille: "Und nun?"
Gronka nahm einen Schluck Salzwasser und rotzte ihn zurück ins Meer. Dann sagte er: "Wir warten."
Ich blickte kurz über die Schulter zu der grunzenden und schnaubenden Ork Schar.
"Ich will Deine Weisheit nicht anzweifeln. Aber das ist etwas, wo Orks so richtig schlecht drin sind."
Das war der Moment, als mich der größte aller Orks ins Wasser stieß …

 

[1] Falls sich jemand wundert: Auf Orkisch klingt das viel besser, wütender, hingerotzter. Kultur halt. Leider verliert sich der Effekt etwas in der Übersetzung. Aber ich bin mir sicher, ihr könnt euch das vorstellen.

Ich versank wie ein Stein.

Die Wasseroberfläche in meinem Blick wurde auf meinem Weg hinab immer dunkler. Und dunkler. Noch unternahm ich keine Anstrengung zu schwimmen, sondern genoss erst einmal die angenehme Kühle und das herrliche Nass. Die verbleibende Luft behielt ich tief in meiner Lunge, so lange es ging und dachte darüber nach, ob der ironischste aller Tode mich ereilen würde: Ein ertrunkener Wasservölkler. Lange ist es her, seit ich aus dem Wasser stieg, zuerst im dichten Tropenwald mit der Hydra quatschte und dann in der Wüste die Gestalt eines Orks annahm.

Während der Druck im Wasser zunahm, träumte ich die Bilder meines langen Lebens, das doch erst ein paar Jahre dauerte.

Ich hatte keine Ahnung, ob ich noch immer im Wasser Luft holen können würde. Früher schien es so selbstverständlich zu sein wie … nun ja: atmen.
Aber ohnehin hatte ich auch keine Ahnung, wie es zu der Verwandlung kam.
Kurz dachte ich noch an meine beiden kleinen Zentauren im Aedificium (Was die wohl machen? …) und sog dann tief Wasser in meine Lunge.
Und lebte weiter. Ein klein wenig überrascht, öffnete ich die Augen und sah, wie um mich herum ein Fischschwarm auseinanderstob.
Alles glitzerte und rauschte und sauste, es war einfach nur schön.

Ja, und dann sah ich, wieso der Schwarm sich beeilte: der große Schatten war dann wohl doch nicht eines der Flöße über mir, sondern natürlich ein riesiger Wal.
So schnell wie daraufhin hatte ich mich schon lange nicht mehr bewegt. Hui, war ich auf einmal wach!

Ich weiß gar nicht, ob ihr es wusstet, aber man kann mit der nötigen Panik im Nacken und ein wenig Anstrengung im Wasser ganz schnell wenden.
Ich stieß mich kräftig mit einem Beinschlag in Richtung Wasseroberfläche, drehte mich dann einmal, so dass meine Füße nach oben zeigten, den Schwung immer noch mitnehmend und zog die Peitsche aus meinem Gürtel. Als der Wal ganz knapp unter mir, dort wo ich eben noch geschwebt hatte, vorbeizog, gleich einer unaufhaltbaren Naturgewalt, hielt ich die Peitsche wie eine Schlinge zwischen beiden Händen und blieb an ein paar Zähnen hängen.

Die Kunst jetzt war, bloß nicht loszulassen.
An die folgenden Minuten oder vielleicht Stunden erinnere ich mich nicht genau.
Da war nur ein hartnäckiger Drang, NIEMALS loszulassen.
Mein Körper, der sich verzweifelt an die Peitsche klammerte, wurde hin- und her geschleudert, rauf und runter.

Bis ich dann irgendwann endlich auftauchte. Der Wal musste Luft holen und deswegen zur Oberfläche.
Mit zitternden Beinen stand ich aufrecht und atmete wieder Luft, die Peitsche wie ein Zügel immer noch im Maul des Wals.
Hinter mir erklang plötzlich ein tosendes Geräusch, wie ein Wasserfall, ich drehte mich um und sah die Fontäne, die aus dem Luftloch am Rücken des Riesenfisches [1] in den Himmel schoss.
Und ebenso sah ich etwas, womit ich nicht gerechnet hätte: die Orkfloßflotte! Nach all der Zeit, der zurückgelegten Strecke, dem harten Kampf, ist das Vieh tatsächlich einmal im Kreis geschwommen.
Erst war wieder Stille, ich sah, wie sich meine Kameraden gegenseitig anstießen und auf mich zeigten, der ich auf einem Wal dahergeritten kam. Ich winkte erschöpft, aber als ich die beeindruckten Gesichter sah, streckte ich eine Faust in die Höhe und rief laut "Jieha!" (Warum auch immer, keine Ahnung, das kam einfach so raus…)

Danach geschah etwas, womit ich Idiot nicht gerechnet hatte. Ich hätte es aber kommen sehen müssen.
Das sind ja alles Orks.
Hungrige, gelangweilte Orks auf Kriegszug …
Ich konnte gar nicht so schnell "IHR HABT JA WOHL DEN ARSCH OFFEN!" schreien, wie ich bombardiert wurde mit Pfeilen, Speeren, Steinen, Rüstungsteilen und ganzen Orks.
Sie beabsichtigten bestimmt, den Wal zu erwischen, aber ich bin mir nicht sicher, ob manche absichtlich zu hoch zielten.
Wie durch ein Wunder blieb ich dank einiger schneller Tanzschritte unversehrt, der Wal aber tauchte sofort ab, um Schutz zu suchen.
Er war aber zu schwer verletzt und nach wenigen letzten Anstrengungen trieb er wieder reglos nach oben. Um mich herum paddelte sich die glorreiche orkische Flotte heran und hackte dann nach und nach das Tier in Stücke.
Ich habe dabei nicht mehr zugesehen, sollten sie ihren Spaß haben.
Mir war es jetzt wichtiger, fest schwankenden Boden unter den Füßen zu haben und ein wenig zu verschnaufen.

Pudelnass robbte ich mich zu einer freien Stelle des Steinfloßes und schloss müde die Augen.
"VIKATE!"
*Nein-nein-nein-nein-kann-doch-nicht-wahr-sein*
Hinter mir baute sich der große Gronka auf und warf seinen Schatten auf meine frierende Gestalt.
Ohne hochzusehen, den Kopf zwischen die Knie gestützt, presste ich in perfektem einhornvöglerisch hervor: "Heil Dir, oh Du mein Chef!"

"Lass das. Dein clantonisch kannst Du Dir in den Ar … HEJ!"
Gronka wurde in seiner Motivationsansprache unterbrochen, weil ihn ein großer Klumpen fetten Fleisches in den Rücken traf. Irgendwer schrie laut: "Das Herz für Gronka!" und alle gröhlten und jubelten.
Das war der Moment, als der größte aller Orks ging, um sich feiern zu lassen …

Und ließ einen kleinen, frierenden und hungrigen Tierbändiger zurück, der murmelte: "Gern geschehen."

Und dann lauter: "Ihr Arschgeigen!"

Und dann ganz leise: "Ich hasse euch alle …"

Mit diesem wohligen Gefühl schlief ich ein und träumte von einem Vogel in der Hand eines Menschen mit langem weißen Rauschebart und einem noch weisseren Kleidchen an.


[1] Jaha, wir wissen es … Vikate aber nicht …