Der Coup (Ode an den Stier und die Prokratianstionigkeit)
„Gronka?“
„Mhm?“
„Das mit dem Stier, das war ja schon ziemlich geil.“
„Redest Du von der Orgie gestern Nacht oder von unserem Feldzug?“
„Feldzug. Damit hat ja wohl keiner gerechnet.“
„Nope.“
„Und jetzt?“
„Unser Feldherr macht weiter. Das Ziel ist die Weltherrschaft.“
Der große Bumbachtach und der bescheidene Bum Vikate sitzen auf einer Anhöhe im Schatten einer Palme auf dieser götterdungverlassenen Insel im Dalloali Archipel. Und sind am sinnieren.
Vikate kaut auf einem Knochen rum. Das muss wieder so ein Waran sein. Die Hälfte aller Tiere hier sind giftig und die lokalen Einwohner haben eine diebische Freude daran, uns nicht zu sagen, welche. Wir essen immer das gleiche: Waran und manche von den Vögeln.
Vikate spuckt einen Knorpel aus und fragt: „Was ist eigentlich Dein genialer Plan? Wie lange bleiben wir noch hier?“
Gronka reagiert erst gar nicht. Legt sich in den Sand und schließt die Augen. Dann brummt er: „Was weiß ich denn? Wir haben keine Schiffe und die Dalloali haben uns zwar versprochen, uns ihre Gefährte aus Holz zu zeigen, aber die machen so ein Geschiss daraus… Ich habe keine Lust, dem ständig hinterherzulaufen. Diese Hinterwäldler kennen ja noch nicht mal die Welt jenseits ihres Archipels und lassen ihre Toten rumlaufen, anstatt sie in den Vulkan zu schmeißen.“
Vikate streckt sich und wirft sich auch rücklings in den viel zu warmen Sand, um sich kurz zu konzentrieren „Naja, ich sag ja nur … weil … mir ist so langweilig. Und ich müsste seit 20 Jahren im Aedificium sein. Ich glaube, der Kaffee, den sie mir bereitgestellt haben, ist langsam kalt.“
„Jo, sobald wir diese Katamarane haben, werden wir erst mal ins Land von diesem Stier fahren und für Ruhe sorgen. Wir haben ja einen Vertrag: die dürfen weiter Statuen gießen und Spiele spielen und wir sorgen für Frieden.“
Die beiden Orks schweigen. Man muss die Ruhe auch aushalten können.
…
Kurz bevor sie in der Mittagshitze eindösen, kommt ein überaktiver Snot vorbei und fragt : „Was gibt es zu essen? Ich habe Hunger!“
Gronka murmelt: „Schlägst Du ihn tot, oder soll ich?“
Vikate: „Ich bin gerade beschäftigt mit nichts tun. Später vielleicht.“
Der Snot zieht ab. Gronkas Magen knurrt. „Essen wäre aber schon in Ordnung.“
„Erinnerst Du Dich noch an das herrliche Buffet mit diesen gedünsteten Büffelrippen und dazu die Soße?“
„Das war schön.“
…
„Gronka?“
„Jo.“
„Mir ist langweilig.“
„Habe ich vernommen.“
„Und ich habe Hunger.“
„Okay.“
„Was ist der Plan?“
„Ich liege hier erst mal rum.“
„Cool.“
…
„Gronka?“
„Was?!“
„Wenn die Sache mit dem Stier durch ist, wen machen wir als nächstes platt?“
„Bist Du verrückt? Das werde ich doch hier im Follow nicht zu Protokoll geben!“
„Verstehe. Aber: was hältst Du davon, wenn wir mittelfristig planen, die Menschen nicht alle zu töten und versklaven, sondern eine Art Gemeinschaft aufbauen? Eine oder mehrere Welten, in der Orks und Menschen Seite an Seite leben und wir uns gegenseitig befruchten mit kulturellen Ergüssen. Wir könnten die Herren einer utopischen Zivilisation sein.“
…
„Du hast befruchten gesagt.“
Gronka kichert. Sein Magen knurrt immer noch.
Vikates Kampf
Vikate war mit seinen Gedanken alleine.
Allein.
Viel zu viele Orks um ihn herum. Die Schlacht in seinem Augenwinkel spielte sich in
Zeitlupe ab. Blut. Geschrei. Tod. Alles sehr unsauber.
Im Wasser war damals alles so viel reiner. Tote sanken dereinst zu Boden. Das war
schön.
An Land ist die ganze Angelegenheit laut und schmutzig.
In der linken Hand hielt er seine Peitsche, in der rechten den Prügel. Aber obwohl um ihn
herum ein Gemetzel der besonderen Art stattfand, erlebte er eine Klarheit, die er nicht
hatte, seit die Hydra von Xidur ihn ansprach: DU WIRST LEBEN MÜSSEN.
Leben.
Vikate wollte immer nur leben, was auch immer überleben hieß. Er hatte gekämpft,
getötet, durchgehalten.
Langsam … ist es … doch mal … gut.
Vikate brüllte laut, dann sprang er aus dem Graben auf, gerade als zwei Menschlinge
siegessicher auf ihn zuliefen, er schwang die Peitsche zur Ablenkung laut knallend über
sie hinweg und erschlug in einem Zug beide mit dem Knüppel. Als sie sich nicht mehr
rührten, prügelte er so lange auf ihre Köpfe ein, bis auch ihre Eltern sie niemals mehr
erkennen können würden.
Dann sprach er zu sich selbst, wie er es in der letzten Zeit, sehr zur Verunsicherung der
Kameraden, öfters tat.
„Meine Kinder sind groß. Ich habe versagt auf meiner Suche, sie je kennenzulernen.
Zanjo ist schon lange im Aedificium versunken. Und was genau mache ich HIER?! …“
Schlag folgte auf Schlag. Pfeile regneten auf ihn herab, er duckte sich oder ließ sie in die
Lederrüstung versinken. Schmerz war jetzt nicht mehr wichtig.
Ducken, einen halbtoten Ork greifen, warten, bis der Feind seine Schläge in den Kadaver
getan hat, dann herausrollen, Knie brechen, hoch, Schlag auf den Hals, noch einmal
Schlag, Ducken, Schlag.
Ducken.
Vikate konnte Gronka in der Nähe schreien hören. Wo der war, da war das Zentrum des
Sturms. Der Bumbachtach, der große Führer der Orks, machte niemals Halt, keine
Gefangenen, keine Kompromisse. Er hatte niemals Angst.
Ein kurzer Blick im Kreis zeigte, dass genau noch drei Vertraute um Vikate herum
standen. Bum Ti’Ktok stand aufrecht und würde stehend sterben, bevor er sich selbst
zugestehen würde müde zu sein.
Im Auge des Kriegs zeigte dieser peinliche Emporkömmling, dass er doch der ewige
Freund sein würde, den Vikate brauchte, um gemeinsam zu siegen.
„Das darf der Bastard niemals wissen.“ schalt er seine Gedanken zurecht.
Mehr Sorgen machten ihm die beiden Snots, die Seite an Seite kämpften.
Vikate wusste, dass es entgegen jeder Orklehre ist, wenn man Sympathien für die Ehre
der Jungen empfinden würde. Aber.
„Ich habe für das Wasservolk als Krieger im Leuchten gekämpft und habe gute
Kameraden fallen sehen.“ sprach er leise, zu sich selbst.
> Ehre hat eine Bedeutung, niemand sollte grundlos zurückgelassen werden.
Euer Sieg sichert meine Zukunft. <
Wenn wir etwas gelernt hatten von den Worten der Hydra, dann das.
Vikate erhob sich von dem Stein, auf dem er saß. Er holte tief Luft, brüllte dann so laut er
konnte und erst als ihn die Luft verließ, bemerkte er den Pfeil, der in seiner Brust steckte.
„Oha, das ist nicht gut.“
Und fiel kopfüber in den Dreck.
KnockKnock und Igor waren die ersten Gesichter, die Vikate in seinem wunderschönen
Tod belästigten. Luft ein. Luft aus. Atmen ging, also wohl auch der ganze Mist drumrum
ebenso. Was war denn so unfassbar toll am Überleben?
Unser Held war sich ganz sicher, vor ein paar Momenten noch, eine gute Zeit im großen
Grün mit großen Fleischbrocken im Napf, einem noch größeren Bett und noch viel
größeren Brüsten mit Frauen daran im Bett verbracht zu haben. Aber.
„Guckuck! Bist Du wach?“ KnockKnock schüttelte ihn, aber das brachte nur Grunzen,
bis Igor, der Geniale, ihm die Bratpfanne über den Kopf rammelte, bis Vikate ihm recht
geben musste, bei Bewusstsein zu sein.
„Bin ich tot ?“
„Nein.“
„Mist.“
KnockKnock schubste ihre Kochmütze zurecht (woher hatte sie das Accessoire denn,
fragte sich unser Held kurz, aber verwies den Gedanken auf eine andere Geschichte)
und sie zog mit einem kurzen, viel zu brutalen Griff den Pfeil aus Vikates Brustkorb.
Das durchaus männliche Alphatier-adäquate Geschrei, das Vikates Hals deshalb
entfuhr und die Flüche, die dem Snot ewige Verdammnis in allen Ebenen der Hölle
versprochen schienen, ließ alle rundum kalt. Sie waren heute schon anderes gewohnt.
Vikate atmete aus.
Entspannte sich.
Atmete ein.
Atmete aus.
Augen auf. Sehr böser Blick auf alles.
Augen zu.
„Woher wusstest Du, dass ich nicht sterben kann?“
KnockKnock lächelte süß und sagte gar nichts.
Um uns herum wälzte sich der Kampf hügelabwärts und die Orks schienen zu siegen,
dem Gebrüll zufolge, deshalb hatten wir Zeit.
Igor Rotzfahne schubste KnockKnock zur Seite und hatte den Anstand, wenigstens ein
paar der Löcher im Körper unseres Monsterbändigers zu verbinden. Es war doch nicht
ganz vergebens, dass er schon zwei Jahre in Vikates Schule war.
„Blutungen sind nicht tragisch, müssen aber gestopft werden, sonst wird alles
schmutzig.“ Haushaltslehre one-o-one, die der treue Igor murmelnd dem Snot
KnockKnock erzählte, der offenbar ganz darauf aus war, noch mehr Blut zu sehen.
Als Vikate ein paar Stunden später aus dem großen Grün erwachte und sich völlig
desorientiert umsah, da war auch schon Gronka und dieser unerträglich sich selbst
überschätzende Bum Ti‘Ktok an seiner Seite.
Er sah sich, auf dem Rücken liegend, hektisch um und … aus irgendeinem Grund war er
froh, dass KnockKnock gerade woanders war. Der Snot machte ihm Gänsehaut,
irgendetwas war nicht ganz koscher mit dem Jungork.
Gronka schlug ihm in die Rippen, wovon eine spontan brach: “NA? Wieder fit?!“
Vikate eröffnete seinen Gedankenpalast und suchte die Stelle, wo Frieden ist.
Er versank erneut im großen Grün…
„Kureel. Wach auf.“
Ich fühlte meine Knochen, meine Muskeln. Alles schien am Platz zu sein. An meinem Rücken
spürte ich das grüne Gras, den Sand, Mutter Erde. Die linke Hand ballte ich zusammen, riss
dabei etwas von der Wiese heraus und zerrieb es zwischen den Fingern. Immer noch nicht
wollte ich die Augen öffnen oder aufstehen.
Meine Mutter hatte mir dereinst im Wasser die schöne Geschichte erzählt von dem Jungen,
der nicht sehen konnte und deshalb alles fühlt. Ich versuchte das in diesem Moment, mein
Körper war schwer, meine Gedanken klar. Die Strömung schwamm durch mich, wie ein guter
Freund, zart und bewegend.
In Ordnung. Augen auf. Ich rief mit überschlagender Stimme, lauter als ich wollte:
„Wer spricht hier?!“
„Ein Freund.“
„Das sagen alle. Zeige Dich.“
Ich befand mich in einem Raum ohne Wände. Unter mir ein Fleck Erde und um mich herum
Endlosigkeit. Mein Kommunikationspartner war nirgends zu sehen. Die Stimme aber klar und
deutlich: „Darf ich noch Kureel sagen?“
Ich knurrte unwirsch: „Nein, ich bin Vikate, die Sense. Kureel ist Vergangenheit. Wieso fragst
Du? Und Zeig Dich!“ Ich sprang auf, suchte meine Waffen, aber war komplett nackt.
Spätestens jetzt begriff ich, dass das hier wohl ein mystischer Moment war und ich meinem
Gegenüber mehr richtig gute Fragen stellen sollte, aber schnaufte nur: „…“
„Beantworte mir eine Frage, dann kannst Du zurückkehren zu Deinem Körper.“
„Mm…kay“
Zu mehr war mein Mund nicht imstande und ich schämte mich dafür jetzt schon.
Hektisch schaute ich links und rechts. Es gab keinen Rand, keine Möglichkeit, mich zu
bewegen, ich war komplett ausgeliefert. Ich rief so laut ich dachte zu können: „Frag!“
„Das alles hier ist ein fantastischer Traum. Du hast jetzt die einzigartige Möglichkeit, alles zu
bekommen, was Du willst. Was wünschst Du Dir?“
Mein ganzes Leben und alle meine Begierden zogen an mir vorbei. Was war das für eine
Stimme, veralberte sie Dich nur? Im Kampf zu bestehen, den Feind auslachen, aber vielleicht
auch Liebe und die Treue Deiner Nächsten?
Die Antwort war einfach. Jedenfalls nach zehntausend Zeiteinheiten des Nachdenkens.
„Ich möchte nicht verletzbar sein.“
„Das ist ein erstaunlich guter Wunsch. Und so sei es.“
„AUA!“
Hat man Orks als Helfer, dann merkt man: die sind ja so was von nicht feinfühlig.
Vikate sagte sich gebetsmühlenartig auf: „Wir Toa-Nakai haben eine reichhaltige und
kulturell vielfältige Geschichte und sind nicht nur auf Gewalt zu reduzieren.“
Und dann traf ihn erneut die Faust von KnockKnock am Ohr.
„Kannst Du das bitte sein lassen!?“
„Bist Du wach?“
„JAHA!“
KnockKnock holte erneut aus, weil es ihr anscheinend eine diebische Freude bereitete,
den alten Monsterbändiger zu schlagen.
„Lass es!“ Vikate nahm ihre Hand, drehte sie herum, ergriff den ganzen Körper des
Jungorks und schmiss ihn in die Ecke. Igor nickte kurz anerkennend und sagte: „Ich habe
es Dir doch gesagt, lass ihn schlafen, aber Nein, Du hörst ja nie zu.“
KnockKnock rollte sich ab und rief: „Dieses Monster ist leicht zu bändigen.“
Igor Rotzfahne rollte mit den Augen und seufzte. „Kannst Du Idiot nicht vielleicht Deine
Gegner woanders als in der Familie suchen?“
„Nein! Vikate hat uns mehr als einmal beigebracht: die Monster sind unter uns!
Hörst Du nie zu?!“
Igor kniff sich mit zwei Fingern die Augen zusammen. „Klar, aber Du musst doch nicht
wirklich unseren Meister angreifen! Was denkst Du denn, wird jetzt dabei rauskommen?
Er schlägt Dich zu Brei und ich muss das Blut aufwischen, weil Du wieder einmal zu faul
dafür sein wirst.“
KnockKnock rannte los, schrie laut auf, machte eine Boxbewegung in Richtung Vikate,
der den Schlag mit einem „Uff“ aufnahm, dann nach rechts zu seinem Schlegel griff und
damit den Jungork quer über den Platz schlug.
„Bleib liegen! Oder es setzt noch einmal was. Und dann wirst Du nicht mehr aufstehen
können.“
Igor lief zu seiner Mitstreiterin hin und warf sich auf sie drauf. „KnockKnock lass es gut
sein. Wir kämpfen später weiter. Stirb ein ander mal.“
Vikate besah sich die Szene und äußerlich brummte er laut vor sich hin, aber tief in
seinem dunklen Herz dachte er: „Nicht ganz aussichtslos mit den beiden. Mal sehen,
wie lange sie leben werden.“